„Grundsätzlich ist natürlich FOSS (Freie und Open-Source-Software) in der Verwaltung immer erstmal begrüßenswert.“ – Beim Lesen dieses Statements in einem Blogbeitrag vor ein paar Tagen ertappte ich mich unwillkürlich beim automatischen Kopfnicken. Ja, klar ist meiner Überzeugung nach Open Source Software in der Verwaltung zu begrüßen, aber was hat es mit dieser Überzeugung auf sich? Woher nehme ich die Sicherheit, dass ich eine solche Aussage als Wahrheit äußere?

Zuerst einmal ist so, dass mich niemand daran hindert, diese Aussage zu tätigen. Ich habe das unglaubliche Privileg in einem Land mit demokratischer Verfassung zu leben, das mich nicht für meine Meinungsäußerungen sanktioniert. D.h. ich existiere in einem System aus demokratischen Strukturen, daher geht es hier auch nicht um Software an sich, sondern um die Wirkung, die eine bestimmte Art von Software mit sich bringt.

Einkauf im öffentlichen Sektor

Verwaltungen sind in diesem System ausführende Organe, die bestimmte Ordnungs- und Kommunikationsstrukturen haben. Um handlungsfähig zu sein, brauchen diese Verwaltungen nicht nur Menschen, die Verwaltungstätigkeiten ausführen können, sondern auch verschiedenste physische Materialien und Werkzeuge. Beim Einkauf (Beschaffung) jeglicher Art von Arbeitsgeräten und -materialien – also auch von Software (ITK-Infrastruktur) – handeln Verwaltungsmitarbeitende nicht autonom, sondern Bund, Länder und Gemeinden sind an Rechtsnormen wie das Vergaberecht gebunden. Das Vergaberecht sieht u.a. vor, dass die Beschaffung einerseits wirtschaftlich sein muss (den Zuschlag erhält das kostengünstigste Angebot) und dem Wettbewerbsgrundsatz unterliegt, d.h. es darf keine willkürliche Vergabe an einen einzelnen Anbieter erfolgen. Auch wenn am Vergaberecht selbst als auch an den damit einhergehenden Ausschreibungsverfahren deutliche Kritik zu äußern wäre, so ist die Grundidee nicht schlecht, denn sie folgt demokratischen Grundsätzen. Jede Firma in Deutschland hat grundsätzlich die Möglichkeit, dem öffentlichen Sektor ihre Produkte und Dienstleistungen anzubieten. Jede Verwaltung kann Anbieter wechseln, wenn sich Anforderungen ändern.

Handreichung zur Nutzung von Open Source in Verwaltungen

Was für leicht austauschbare Produkte, z.B. Büromaterialien, relativ unkompliziert ist, stellt sich für die IT völlig anders dar. Insbesondere Software, selbst Standardsoftware, ist nicht nur ein Produkt, sondern schafft gleichzeitig Strukturen und Arbeitsabläufe, die selbst wiederum Abhängigkeiten erzeugen. Das BMI hat zur Bewertung und Ausschreibung von IT-Leistungen 2018 eine Art Leitfaden für IT-Beschaffende in Verwaltungen herausgegeben, in dem die Nutzung von Open Source Software angesprochen und auch auf die Empfehlung der Open Source Business Alliance (OSBA) „Handreichung zur Nutzung der EVB-IT* beim Einsatz von Open Source Software“ verwiesen wird. Auf den ersten Blick scheint es also möglich, Ausschreibungen für Open Source Software zu entwickeln.

Veränderung in Verwaltungen?!

Ähnlich wie Organisationsstrukturen in Konzernen ist es in Verwaltungen schwierig, grundlegende Veränderungen umzusetzen. Sie handeln auf Basis von Gesetzen, Verordnungen, Richtlinien, etc., die immer wieder angepasst werden. Was eher selten passiert, ist, dass Grundsätzliches verändert wird, weil sich Rahmenbedingungen und Gesellschaft ändern. Was die Grundsätze, auf denen die Vergabelogik beruht (GWB Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, §97, 1-6), angeht, wäre es jedoch an der Zeit, sie etwas genauer und zeitgemäßer anzuschauen:

(1) Öffentliche Aufträge und Konzessionen werden im Wettbewerb und im Wege transparenter Verfahren vergeben. Dabei werden die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Verhältnismäßigkeit gewahrt.

Wirtschaftlichkeit bedeutet im Öffentlichen Sektor überwiegend, dass der Zuschlag an den billigsten Anbieter geht. Ist es wirklich wirtschaftlich, wenn Lizenzverträge mit Anbietern von proprietärer Software abgeschlossen werden? Wenn Lizenzen Jahr für Jahr kostenpflichtig erneuert werden müssen? Jedes Update, jedes neue Feature, jegliche Änderung der Software in der Hoheit (und damit auch in der Preishoheit) des Anbieters liegt?

(2) Die Teilnehmer an einem Vergabeverfahren sind gleich zu behandeln, es sei denn, eine Ungleichbehandlung ist aufgrund dieses Gesetzes ausdrücklich geboten oder gestattet.

Wie soll eine Gleichbehandlung gewährleistet werden, wenn die Ausschreibung auf eine „alles aus einer Hand“-Lösung formuliert ist? Bzw. wenn die ausschreibende Stelle wenig oder kein detailliertes Wissen von Open Source Software hat?

(3) Bei der Vergabe werden Aspekte der Qualität und der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte nach Maßgabe dieses Teils berücksichtigt.

Innovation in Verwaltungen bedeutet u.a. Interoperabilität und Digitalisierung. Welche Qualität hat eine Kombination verschiedener Software-Lösungen, die Verwaltungen digitaler macht, wenn diese untereinander nicht kommunizieren können, bzw. hierzu erst Schnittstellen geschaffen werden müssten? Wie sozial ist es, wenn (proprietäre) Lösungen, nicht vollständige Datensicherheit für die betreffenden Bürger:innen bieten können?

(4) Mittelständische Interessen sind bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vornehmlich zu berücksichtigen. (…)

Wo werden mittelständische Interessen berücksichtigt, wenn landesweit in Verwaltungen Software und Betriebssysteme des US-amerikanischen Anbieters Microsoft eingesetzt werden?

(5) Für das Senden, Empfangen, Weiterleiten und Speichern von Daten in einem Vergabeverfahren verwenden Auftraggeber und Unternehmen grundsätzlich elektronische Mittel nach Maßgabe der aufgrund des § 113 erlassenen Verordnungen.

Wie verträgt sich dieser Grundsatz mit Punkt (1)? Das Verfahren kann nur transparent sein, wenn die verwendete Software transparent agiert. Verwendet die Verwaltung für den Vergabeprozess proprietäre Software kann sie mitnichten Transparenz bei Punkt (5) leisten.

(6) Unternehmen haben Anspruch darauf, dass die Bestimmungen über das Vergabeverfahren eingehalten werden.

Das sollte selbstverständlich sein, aber gut, dass es nochmal erwähnt wird.
 

Bei der Neu-Betrachtung der o.g. Grundsätze komme ich zu dem Ergebnis, dass Open Source Software im öffentlichen Sektor eine Vorrangstellung gegenüber proprietärer Software eingeräumt werden sollte und möchte mich der Argumentation der OSBA anschließen:

„…Das liegt zum einen natürlich an den oft erheblichen Vorteilen im Hinblick auf Transparenz und Flexibilität und damit natürlich auch auf eine langfristige Wirtschaftlichkeit. Der Einsatz von Open Source Software ermöglicht auch in erhöhtem Maß die Partizipation an der Entwicklung des Codes oder diesen an die eigenen Bedürfnisse anzupassen. Die damit verbundene Wertschöpfung muss dann nicht mehr zwangsläufig durch den ursprünglichen Hersteller erfolgen, sondern ist in viel mehr Fällen auch vor Ort und dadurch verbunden mit einer regionalen Wirtschaftsstruktur- und Innovationsförderung möglich. Darüber hinaus können einmalig öffentlich finanzierte Entwicklungsaufwände für gleiche Aufgaben unterschiedlicher Behörden mehrfach genutzt werden. Zum anderen liefert Open Source völlig unkompliziert die Voraussetzung für eine unabhängige Kontrolle auf mögliche Sicherheitslücken oder Hintertüren, ein Aspekt der gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion über die digitale Souveränität des Staates enorm an Bedeutung gewonnen hat.“

Konsequent zu Ende gedacht, bedeutet dies, dass Open Source Software für Verwaltungen immer die nachhaltigere, wirtschaftlichere, souveränere und demokratischere Lösung ist. Daher müsste sie aus der o.g. Vergabelogik herausgelöst werden. Es wird abzuwarten sein, ob das neugeschaffene Zentrum für Digitale Souveränität (ZenDiS) sich dieser Aufgabe widmen wird.

Idealerweise müssten Verwaltungen sich darüber hinaus jedoch als Teil des Ganzen begreifen und gemeinsam mit allen Stakeholdern aus dem Open Source Kontext (Dienstleister, Hersteller, Community, Interessengruppen, Verbände, etc.) gemeinsam denken und handeln. Open Source ist schließlich kein Lieferdienst.

 

Zum Weiterlesen:
http://www.cio.bund.de/SharedDocs/Publikationen/DE/IT-Beschaffung/ufab_2018_download.pdf?__blob=publicationFile

https://osb-alliance.de/publikationen/veroeffentlichungen/handreichungen-zur-nutzung-der-evb-it-beim-einsatz-von-open-source-software

https://osb-alliance.de/publikationen/bloggast/das-zentrum-fuer-digitale-souveraenitaet-ist-beschlossene-sache

 

*Ergänzende Vertragsbedingungen-IT: Öffentliche Ausschreibungen werden anhand verschiedener Rechtsordnungen wie z.B. der VOL (Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen) erstellt. Für spezielle Anforderungen können ergänzende Vertragsbedingungen hinzugezogen werden.