Der Begriff Resilienz stammt aus der Psychologie und bezeichnet ganz allgemein die Widerstandskraft, die ein Mensch in Krisensituationen entwickelt. Es geht um die Fähigkeit, mit Schwierigkeiten oder Veränderungen so umzugehen, dass sie keinen langfristigen persönlichen Schaden verursachen, sondern man sich relativ schnell erholt und wieder handlungsfähig wird. Der Begriff der Resilienz wird seit einiger Zeit auch im Kontext Digitalisierung verwendet – hier ist immer wieder von „digitaler Resilienz“ die Rede.
Perspektiven auf Digitale Resilienz
Digitale Resilienz kann einerseits auf die ökonomische Ebene bezogen werden. Dies meint, dass Infrastrukturen und Technologien so flexibel, anpassungsfähig und sicher sein müssen, dass ihr Einsatz/ihre Nutzungsmöglichkeit dauerhaft und so krisenfest wie möglich gewährleistet werden kann. Ob dies erreicht werden kann, hängt auch davon ab, wie anbieterunabhängig (Stichwort: digitale Souveränität) man ist.
Andererseits bietet Digitale Resilienz auch eine soziale Perspektive, d.h. können Anwender:innen von digitalen Technologien und Infrastrukturen eine individuelle Resilienz aufbauen?
Soziale Verantwortung und Digitale Resilienz
Es wird niemanden überraschen, dass die Forschung zu Kommunikations- und Medienwissenschaft mittlerweile davon ausgeht, dass wir – in Industrieländern – vollständig „mediatisiert“ sind, d.h. unsere Kommunikationsprozesse, Kommunikationsverhalten und Informationsaustausch sind überwiegend von Technologie durchdrungen. Wissenschaftler:innen sprechen von der post-industriellen oder informationellen Netzwerkgesellschaft. Vernetzung ist darin das wesentliche Prinzip. Dass diese Entwicklung nicht nur Chancen sondern auch Risiken mit sich bringt, ist uns zwar längst bewusst, doch noch fehlt es vielfach an sinnvollen Maßnahmen, die unsere Souveränität und Selbstbestimmtheit fördern. Man denke nur an die verstärkte Abhängigkeit von Technologie, an Effekte aus Filterblasen oder an ungleiche Teilhabemöglichkeiten (Digital Divide).
Obwohl es scheint, dass wir technologisch schon in dieser Netzwerkgesellschaft angekommen sind, zeichnet die Realität ein anderes Bild. Wir befinden uns mitten im Wandel: Einerseits fühlen wir uns von einer digitalisierten Umwelt mit dem Anspruch der permanenten Erreichbarkeit vielfach überfordert, andererseits fehlen digitale Strukturen in wichtigen Bereichen und somit auch die damit verbundenen Kenntnisse und Fähigkeiten. Ein selbstbestimmtes Handeln und eine gesamtgesellschaftliche digitale Resilienz scheinen noch nicht in Sicht zu sein.
Das Konzept der Resilienz auf unsere digitale und vernetzte Kommunikation zu übertragen kann sinnvoll sein, um Möglichkeiten zu finden, die auf individueller Ebene widerstandsfähig für alle medialen Impulse und die Informationsflut machen. Unternehmen können soziale Verantwortung übernehmen und dafür sorgen, dass Mitarbeiter:innen digital nicht überfordert werden, indem sie digitale Kommunikationsprozesse optimieren und wo notwendig reduzieren (z.B. Entwicklung einer E-Mail-Policy). Gleichzeitig sollte das Weiterbildungsangebot um Themen wie digitale Souveränität und Medienkonsum erweitert werden.
Resilienz als Lösung?
Ein Forscherteam der Universitäten Tübingen und Salzburg (H. Atteneder, U. Maier-Rabler, T. Steinmaurer, Medienjournal 05/2017) regt an, das Konzept Resilienz weiterzuentwickeln.
Resilienz ist auf Selbsterhalt und Fortbestand ausgerichtet, das Konzept dient nicht dazu, Dinge zu verändern. Dies bedeutet auch, dass das System, in dem Resilienz entwickelt wird, gestützt oder sogar stabilisiert und gestärkt wird. Doch was ist, wenn das System an sich an vielen Stellen fehlerhaft, unzureichend oder ungerecht ist? Ist es dann sinnvoll mit individueller Resilienz für dessen Erhalt zu sorgen?
Resilienz (im psychologischen Sinn) nach heutiger Lesart funktioniert nur in eine Richtung: Ich passe mich an meine Umwelt an, d.h. ich bin achtsam, denke positiv und komme mit mir selbst in Balance. Man kann dies dahingehend interpretieren, dass an mir selbst etwas nicht in Ordnung ist. Um diese „Unordnung“ abzustellen, muss ich selbst aktiv werden. Resilienz ist von meiner Umwelt ein erwünschter Zustand, denn als resilienter Mensch bleibe ich leistungsfähig. Da Leistungsfähigkeit ein wesentlicher Faktor in kapitalistischen Systemen ist, braucht dieses System leistungsfähige und belastbare Individuen für seinen Selbsterhalt.
Resilient zu sein, bedeutet nicht automatisch, dass ich selbstbestimmt aktiv handeln kann, wenn das System mir keine oder nur begrenzte Möglichkeiten zu selbstbestimmtem Handeln gibt. Mit begrenzten Handlungsmöglichkeiten kann es jedoch auch resilient sein, nicht zu handeln.
Digitale Resilienz muss mehr sein
Was aus psychologischer Perspektive für das Konzept Resilienz sinnvoll für das Individuum sein kann, wobei auch das zu hinterfragen wäre, kann nicht 1:1 in die digitale Kommunikation übertragen werden. Hier sollte weitergedacht werden, denn es fördert nicht die Zufriedenheit und damit auch nicht die Gesundheit von Menschen, wenn sie sich in digitalen Welten leidlich „durchwurschteln“, anstatt aktiv mitzugestalten.
Stand heute sind wir von Produkten und Infrastrukturen (digital und analog) umgeben, an deren Funktionslogik wir uns weitgehend anpassen und nicht umgekehrt. Wie eine Hard- oder Software aufgebaut ist, bestimmt unsere Arbeitsabläufe. Der größte Teil aller aktuellen Produkte kommt mit fertigen Bedienungsanleitungen daher und sagt uns „Nutze mich so und nicht anders“.
Mit zunehmender digitaler Kommunikation ist es jedoch mehr denn je notwendig, umfangreiche Fähigkeiten zur kritischen Reflexion zu entwickeln, um individuelle Bedürfnisse genauer zu kennen und daraus abgeleitet selbstbestimmt handeln zu können.
Das Ergebnis solch kritischer Reflexion braucht jedoch Handlungsmöglichkeiten, um Verbesserungen herbeizuführen.
Die Weiterentwicklung von Resilienz für den digitalen Raum kann demnach nur in wechselseitigen Wahlmöglichkeiten bestehen. Digitale Resilienz würde demnach bedeuten, dass ich bei jeder Art von digitalem Produkt oder digitaler Infrastruktur individuell wählen kann, was für meine Souveränität und meine eigenen Abläufe am besten ist, so dass es mir gut geht.