Seit dem 27. Dezember 2020 ist in Deutschland mit dem Impfen gegen Covid-19 begonnen worden. Für das Jahr 2021 sollen in Deutschland rund 300 Millionen Impfdosen zur Verfügung stehen, wenn alle Impfstoff-Kandidaten zugelassen werden. Im Vorfeld sicherte sich die EU mehr als eine Milliarde Impfstoffe durch Verträge (auch Exklusivverträge) mit mehreren Pharmaherstellern wie BioNTech, Pfizer, Moderna, CureVac oder AstraZeneca. Gleichzeitig unterstützte sie Pharmahersteller mit Fördergeldern, um die Entwicklung erfolgsversprechender Impfstoffe voranzutreiben. Auch wenn aktuell kritisiert wird, dass die Strategie, auf mehrere Hersteller zu setzen, möglicherweise nicht perfekt war, hört sich das Ganze grundsätzlich vernünftig und richtig an, oder?
Nachfrage bestimmt Angebot und Preis
Es hört sich richtig an, weil uns diese Vorgehensweise nur zu bekannt ist: Es gibt einen Bedarf und ein Angebot – wer zuerst kommt, erhält den Zuschlag; wer ein vielversprechendes Produkt in Entwicklung pitcht, in den investiert man. Im Wirtschaftskontext hinterfragen wir das nicht, doch kann man im Kontext einer Pandemie genauso verfahren? Im globalen Wirtschaftskontext fördern wir mit dieser Vorgehensweise schon lange Ungerechtigkeiten und Verteilungsungleichgewichte, da weder alle einen Marktzugang und damit Zugang zum Angebot haben noch alle die gleiche Kaufkraft besitzen, um ihren Bedarf zu stillen. Zwischen dem globalen Norden – den Industrieländern – und dem globalen Süden besteht seit Jahrhunderten ein wirtschaftliches Ungleichgewicht, welches sich insbesondere auf die schwächsten Teilnehmer:innen negativ auswirkt.
„Es ist nicht gelungen, in diesen langen Monaten, die jetzt Zeit gewesen wären seit dem Ausbruch der Pandemie, international eine Regelung zu finden, die gleichberechtigten globalen Zugang zu dem Impfstoff ermöglicht.“ (Anne Jung, Medico International, taz-Interview 04.01.2021, https://www.patents-kill.org/deutsch/)
Bezogen auf Covid-19 zeigt sich, dass die exklusiven Patente der Pharmahersteller stark zur Förderung des Ungleichgewichts beitragen. Erinnern wir uns kurz an den empörten Aufschrei in Deutschland im März 2020, als der noch amtierende Präsident der USA versuchte, sowohl Forscher:innen vom Tübinger Unternehmen CureVac abzuwerben als auch sich Exklusivrechte für den Impfstoff der Firma zu sichern. Ist es ethisch vertretbar, dass Medikamente und/oder Impfstoffe, die für alle unentbehrlich und von öffentlichem Interesse sind, mit einem Patentschutz belegt sind und somit der Zugriff beschränkt ist?
Patentschutz und proprietäre Software
Der Patentschutz und proprietäre Software haben gemeinsam, dass eine Firma ihr Produkt exklusiv vermarkten kann und das „Rezept“ (Inhaltsstoffe, Ressourcen, Zusammensetzung, Quellcode) intransparent bleibt. In der jetzigen Pandemie-Situation sorgt der Patentschutz (aufgrund des geschützten Preises) erstens dafür, dass reiche Länder sich Impfstoffe eher leisten können als arme. Zweitens führt der Schutz auch dazu, dass der Impfstoff nicht dezentral durch viele verschiedene Produzenten hergestellt werden kann.
Der Schutz von Patenten oder geistigem Eigentum ist grundsätzlich nicht falsch. Allerdings kann eine Konzentration von Schutzrechten auch zur Monopolisierung führen und Macht in die Hände weniger Firmen legen – ganz gleich, ob es sich um Impfstoffe oder Software handelt. Die Folge ist immer eine Art von Abhängigkeit, die weniger Selbstbestimmung zulässt.
Gemeingüter und Commons reduzieren Ungleichheiten
Jonas Salks, einer der Erfinder des Impfstoffs gegen Polio (Kinderlähmung) gab seine Erfindung frei, anstatt sie patentieren zu lassen – und deklarierte sie damit quasi zum Gemeingut. Auf die Frage, wem das Patent gehöre, antwortete Salk 1955 in einem Interview: „Well, the people, I would say. There is no patent. Could you patent the sun?“. Unter Gemeingütern (Begriff aus der Volkswirtschaft) bzw. Commons versteht man gemeinsam hergestellte, gepflegte und genutzte Produkte und Ressourcen unterschiedlicher Art. Sie können materieller oder immaterieller Natur sein. Commons zeichnen sich durch Wissensproduktion und -austausch aus und sind daher dem Open Source Gedanken sehr verwandt.
Für die Entwicklung des Covid-19 Impfstoff hat z.B. der Pharmakonzern Pfizer 400 Mio. Euro öffentliche Mittel erhalten. Ist es abwegig, den Gedanken zu verfolgen, dass umgekehrt das Unternehmen diese Mittel in Form einer Patentfreigabe wieder an die Gemeinschaft zurückführt und somit die dezentrale Herstellung fördert? Überlegungen in eine ähnliche Richtung adressiert die Initiative „Public Money, Public Code“, die aktuell von 201 Organisationen und 29800 Personen unterstützt wird. Das Ziel ist, rechtliche Grundlagen zu schaffen, dass Software, die mit öffentlichen Geldern für öffentliche Verwaltungen entwickelt wurde unter einer Freie-Software und Open-Source Lizenz verfügbar zu machen.
„Wenn es sich um öffentliche Gelder handelt, sollte auch der Code öffentlich sein! Von allen bezahlter Code sollte für alle verfügbar sein!“ (Quelle: https://publiccode.eu/de/)
Welche Probleme die Lizensierung/Patentierung von medizinischen Produkten bringen kann, zeigte sich bereits im März 2020 in den Niederlanden. Ein Mangel an Covid-19-Tests ließ sich auf die Verfügbarkeit einer proprietären Flüssigkeit des Pharmaherstellers Roche zurückführen. Mehrere Parteien im Unterhaus des niederländischen Parlaments überlegten daraufhin, den Pharmakonzern Roche zu zwingen, den Herstellungsprozess und die Rezeptur des von ihm hergestellten Coronavirus-Tests freizugeben, um die Produktion der Tests in den Niederlanden zu ermöglichen. (https://nltimes.nl/2020/03/26/mps-favor-forcing-pharmaceutical-release-recipe-coronavirus-test)
Spenden ändern nicht das System
Auf politischer Ebene ist man sich des Problems des ungleichen Zugangs zu Ressourcen – in diesem Fall zu Impfstoffen – sehr bewusst. Zur Reduzierung dieser Ungleichheit initiierte die WHO gemeinsam mit Initiativen und Stiftungen die globale Impfstoffinitiative COVAX, die von der der Europäischen Union mit 500 Mio. EUR unterstützt wird. Im Kern sollen Länder, die sich den Kauf von Impfstoffen nicht leisten können, mit überzähligen Impfdosen aus Industrieländern versorgt werden. Wenngleich diese Initiative sicherlich Gutes leisten wird, reproduziert sie die Idee der Wohltätigkeit der Reichen an die Armen. Dies ist umso bedauerlicher, da auch in der Entwicklungszusammenarbeit mit Ländern des globalen Südens längst die „Hilfe zur Selbsthilfe“ gilt und nicht das Verteilen von Spenden handlungsleitend ist. Hier hat man verstanden, dass die Selbstermächtigung ein wichtiges Werkzeug zur Selbstwirksamkeitserfahrung und Souveränität ist.
Der Open-Source-Gedanke für Gesundheit
Es gab durchaus den Gedanken, die Patentschutz-Logik für Covid-19-Impfstoffe aufzuheben. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hatte die Idee für den sogenannten „C-TAP: Covid-19 Technology Access Pool“. Dieser Pool sollte Patente und Formen von geistigem Eigentum (Daten, Software, etc.) sammeln. Daraus hätten sich andere Länder bedienen können, um weiter zu forschen und um die Herstellung des Impfstoffs an verschiedenen Orten der Welt zu erleichtern. Diese Idee wurde von Pharmaunternehmen und fast allen europäischen Mitgliedsstaaten abgelehnt und verschenkte so das Potential auf eine Open Source Entwicklung.
Fazit
Es ist notwendig, den Open Source Gedanken auch in den Gesundheitssektor zu verbreiten, um die eigene Souveränität und Selbstwirksamkeit zu stärken, unabhängiger zu werden und Ungleichheiten zu verringern. In diesem Sinne darf man Open Source auch als Unterstützung zur Erreichung der Ziele 3 (Good Health and Well-Being) und 10 (Reduced Inequalities) der Sustainable Development Goals verstehen.