Digitale Souveränität und Demokratie

January 20, 2021

digitale Souveränität und Demokratie

„Die Bundesregierung sieht die Sperrung des Twitter-Kontos von US-Präsident Donald Trump kritisch.“, schrieb die Süddeutsche Zeitung kürzlich. Was war denn da los? War denn nicht ein Großteil der Twitter-User äußerst froh darüber, dass Twitter genau das gemacht hat? Einer der mächtigsten Regierungspersonen die Stimme abzudrehen, dessen gewalttätige Sprache nicht nur das sprichwörtliche Porzellan zerschlug, sondern dazu beitrug, flächendeckend ein enormes Maß an Hass zu säen? Sicherlich war dem so, jedoch bezog sich die Aussage der Bundesregierung nicht auf das gefühlte Gerechtigkeitsempfinden Einzelner, sondern auf das Thema Meinungsfreiheit – eine der größten Errungenschaften in einer Demokratie.

Das Gut der Meinungsfreiheit

Dass Wirtschaft und Politik eng verzahnt sind, ist nicht neu, sondern Alltag. Neu ist jedoch, dass ein Wirtschaftsunternehmen so öffentlich und willkürlich in die Politik eingreift. Die Kanzlerin kritisierte dies, nicht zu Unrecht, als Eingriff in die Meinungsfreiheit. Eine demokratische Gesellschaft muss Meinungsäußerungen verschiedenster Art aushalten können, darin liegt genau der Wert, auch wenn das nicht immer einfach ist. Eben aufgrund des hohen Gutes der Meinungsfreiheit kritisieren wir regelmäßig Staaten, die ihren Bürger:innen genau diese Freiheit nicht gewähren und fühlen uns ihnen überlegen.

Die Verwundbarkeit unserer Netzinfrastrukturen

Soweit so gut, ein Unternehmen hat also die Meinungsfreiheit eines Einzelnen eingeschränkt. Was bedeutet das genau? Wie Andreas Rösler in diesem Blogpost schon erwähnte, ist die Situation deutlich komplexer, denn sie zeigt eine noch viel größere Verwundbarkeit unserer digitalen Infrastrukturen: die Abhängigkeit von Monopolisten, die mit einer fehlenden digitalen Souveränität verbunden ist. Nimmt man es genau, wäre uns die Demokratie wegen dieser digitalen Monopolisten schon abhandengekommen. Tech-Giganten wie Apple, Google, Microsoft, Facebook, Amazon oder Twitter verfügen nahezu vollständig über unsere Kommunikationsmöglichkeiten – egal ob privat oder beruflich. Amazon kann von heute auf morgen Konditionen ändern, Microsoft einen Teil seiner Software fundamental ändern, Twitter und Facebook beliebig Accounts löschen oder Diskussionen manipulieren, Apple alle Updates einstellen, Google bestimmte Daten auf Regierungsanweisung aushändigen … die Liste ließe sich endlos fortsetzen.

Tech-Giganten profitieren von fehlender digitaler Souveränität

Bisher beschränkte sich die Einflussnahme der Techs aufgrund ihres wirtschaftlichen Eigeninteresses hauptsächlich auf den Konsumentenbereich. Twitter und Facebook beförderten in der Vergangenheit sowohl Hate-Speech als auch die Bildung rassistischer und gewalttätiger Gruppierungen u.a. durch Nicht-Eingreifen und profitierten finanziell von wachsenden Nutzer:innenzahlen. Mit dem Blockieren der trumpschen Social Media Accounts (wie sehr man dies auch begrüßen möchte) geben sie sich nun einen ethischen Anstrich, den sie in der Vergangenheit vermissen ließen. Hier hat der Einfluss nun eine neue Dimension bekommen: nicht demokratisch gewählte und legitimierte Institutionen, sondern Wirtschaftsunternehmen greifen in einen demokratischen Prozess von freier Meinungsäußerung ein. Unternehmensführungen, also einzelne Geschäftsführer:innen, entscheiden, was als Gut oder Böse gewertet wird und handeln entsprechend autokratisch. Umgekehrt wird es für Individuen in diesem Szenario nahezu unmöglich, souverän und selbstbestimmt zu handeln, wenn man weiterhin gesellschaftlich, soziokulturell und wirtschaftlich teilhaben möchte.

Monopolisten fördern patriarchale Strukturen

Eine solche Situation bedeutet die Reproduktion längst überwunden geglaubter patriarchaler Strukturen oder den Rückfall in noch frühere Zeiten, in denen Kirche, Monarchie, Militär und Adel auf willkürlichste Art und Weise über Wohl und Wehe ihrer Untertan:innen entschieden.
Diese Situation sollte also alarmierend sein und muss zwingend hinterfragt werden: Wollen wir es zulassen, dass künftig Unternehmen nicht nur flächendeckend wirtschaftliche Macht, sondern auch eine hohe politische Macht ausüben? Georg Diez, taz-Autor, formulierte es in einem Artikel so:

„… es ist höchste Zeit, sehr grundsätzlich über den Einfluss und vor allem über die Funktionsweise der Techmonopolisten wie Apple, Google, Facebook oder Twitter zu sprechen, denn nicht ihre willkürlichen Aktionen sind das Problem, das eigentliche Thema ist die politische Ökonomie ihres Geschäftsmodells und die daraus entstehende Gefahr für die Demokratie.“ (Quelle: https://taz.de/!5739040/)

Die Demokratisierung von Technologie

Die Entwicklung in den USA geht momentan dahin, dass über die Zerschlagung von Tech-Giganten nachgedacht wird. Solche Entwicklungen gab es in der Vergangenheit als Regulierungsmechanismus schon häufiger und sie sind nicht falsch. Doch Zerschlagung bedeutet nicht, dass dadurch automatisch Souveränität erlangt wird.
Für Regierungen und alle öffentlichen Institutionen in Demokratien gibt es eine andere (Er-)Lösung aus der digitalen Abhängigkeit. Die Lösung für umfassende digitale Souveränität lautet nach wie vor: Open Source – die Demokratisierung von Technologie.

 

 

 

 

 

Foto: Gerd Altmann on Pixabay