Die Zukunft der E-Mail (1)
Von Zeit zu Zeit wird immer mal wieder der Tod der E-Mail propagiert. Zur Zeit ist es im Organisationsentwicklungskontext en vogue, die Teamkommunikation mit Kollaborationstools wie z.B. Slack voranzutreiben – gerne kombiniert mit virtuellen Kanban-Boards fürs Projektmanagement und garniert mit reißerischen Formulierungen wie „Kill your darlings – kill your E-Mails“ oder „E-Mail war gestern“. Vielleicht ist es an der Zeit, ein paar Zahlen auf den Tisch zu legen. Dazu haben wir uns ein paar Dossiers, Studien und Statistiken (Quelle: statista.de) angeschaut:

  • 2020 lag die Anzahl der weltweit versendeten und empfangenen E-Mails (geschäftlich und privat) bei 306,4 Milliarden pro Tag. Die Tendenz ist steigend, die Prognose liegt bei 361,6 Milliarden bis 2024.
  • 2020 lag die E-Mail-Nutzung der Bevölkerung in Deutschland bei 87%.
  • Der weltweite E-Mail-Verkehr steigt jährlich um ca. 5 %
  • 2019 erhielten Arbeitnehmer:innen 77 berufliche E-Mails pro Tag
  • 2019 nutzten 751.000 Unternehmen in Deutschland regelmäßig E-Mail-Marketing und gaben dabei 1,2 Milliarden Euro aus.

Wie kann es sein, dass man bei dieser schier überwältigenden Menge an Nachrichtenaufkommen auf die Idee kommt, dass die E-Mail-Kommunikation vollständig abgeschafft werden könnte? Natürlich ist es nicht so, dass der Umgang mit E-Mails immer effizient erfolgt, alleine rund 50% aller Mails bestehen aus Spam (Quelle: statista.de), die auf dem Zustellungsweg hin zum Empfänger gefiltert werden müssen. Ungezählt sind die E-Mails, die an falsche Empfänger gehen, bei denen der Anhang fehlt, bei denen 5 Personen unnötig in cc landen, oder, oder, oder. Für den eigenen Workflow ist es auch wenig motivierend, wenn das Postfach zu Arbeitsbeginn schon übervoll mit neuen Nachrichten ist. Doch für all diese Punkte ist nicht das Medium E-Mail schuld, sondern das Kommunikationsverhalten der Beteiligten selbst. Dieses Verhalten ändert sich erst einmal nicht, ganz gleich auf welches Alternativtool man ausweicht.

Synchrone vs. asynchrone Kommunikation

Wer schon häufiger mit sogenannten synchronen Kollaborations-/Projekttools gearbeitet hat, der wird sich sicherlich darüber ärgern, dass z.B. nicht konsequent in Threads geantwortet wird. Dass nicht relevante Kommentare im Kanban-Board verfasst werden, dass ein Kanal nach dem anderen eröffnet wird oder, oder, oder. Bei der sogenannten synchronen Kommunikation gibt es unzählige Beispiele von Kommunikationssträngen, die nicht zielführend und wenig effizient sind. Doch oft ist es so, dass der synchronen Kommunikation (per Chat, Messenger) eine höhere Effizienz im Vergleich zur asynchronen Kommunikation (per E-Mail) zugeschrieben wird. Bei solchen Pauschalaussagen lohnt immer ein tieferer Blick. Synchrone Kommunikation suggeriert oft, dass die andere Seite immer erreichbar ist und gesendete Nachrichten sofort liest, versteht und reagieren kann. Von der technischen und theoretischen Seite stimmt das zwar, d.h. die Nachricht landet quasi in Echtzeit beim/bei der Empfänger:in – die operative Praxis danach sieht anders aus. Ob und wann Nachrichten gelesen werden, entscheidet die/der Empfänger:in. Als Absender kann es mir – genauso wie beim E-Mail-Versand – passieren, dass meine Nachricht eben nicht synchron bearbeitet wird. Sei es, dass mein:e Kolleg:in ihren Status auf „abwesend“ gestellt hat, nicht gestört werden will oder aus anderen Gründen nicht erreichbar ist. Im Vergleich dazu hat die E-Mail-Kommunikation u.a. den Vorteil, dass die ungelesene Nachricht als Reminder für eine Aufgabe genutzt werden kann. Die gleiche Nachricht im Chat verschwindet jedoch aus dem Gedächtnis, wenn sie nicht explizit als Aufgabe irgendwo vermerkt wird.

E-Mail ist ein essentieller Bestandteil digitaler Kommunikation

Die tägliche E-Mail-Kommunikation ist uns so selbstverständlich geworden, dass sich niemand Gedanken darüber macht, wie essentiell sie für unsere digitale Kommunikation geworden ist. Der große Vorteil bei der E-Mail ist, dass sie dezentral funktioniert. Im Gegensatz zu Kollaborationstools oder Messengern ist man mit seinen Nachrichten nicht innerhalb einer Umgebung/Netzwerk (man erreicht nur die Kontakte, die dieselbe App nutzen) beschränkt. Will man bei Kollaborationstools übergreifend kommunizieren und Nachrichten in anderen Anwendungen teilen/weiterleiten, muss üblicherweise ein Add-On installiert werden, d.h. meine Daten müssen (für mich als User unsichtbar) von einer App in eine andere exportiert werden. Dieses funktioniert automatisiert, d.h. im Vorfeld werden Einsatzparameter/Regeln festgelegt, nach denen weitergeleitet werden soll (z.B. „…Nachrichten aus diesem Channel sollen in Aufgaben umgewandelt werden“). Somit ist keine individuelle Handhabung wie bei der E-Mail-Weiterbearbeitung möglich. Die E-Mail kommuniziert medienübergreifend über allgemein gültige Protokolle.

Schnittstellen zu anderen Anwendungen

Kollaborationstools bieten meist diverse Add-Ons an, mit denen sich weitere Anwendungen anbinden lassen – das ist sowohl im Open Source Kontext der Fall als auch bei proprietärer Software. Habe ich mich für eine digital-souveräne Kommunikationslösung wie die Kopano Groupware entschieden, die z.B. eine Kollaborationstool-Integration und eine Intranet-Integration beinhaltet, kann man über Kopano Kraph einer Vielzahl von diversen Drittanbietern – sowohl Open Source Anbietern als auch MS365-kompatiblen Anwendungen – Zugriffsrechte gewähren. Wie so etwas in Kombination mit einer Terminbuchungs-App wie Harmonizely, die Kopano Kraph nutzt, funktionieren kann, ist hier beschrieben.

E-Mail als Identifikationsfaktor

Die eigene (berufliche wie private) E-Mail-Adresse stellt einen digitalen und sensiblen Identifikationsfaktor dar. Es ist völlig egal, ob es ein Online-Einkauf oder eine Ticketbuchung für eine berufliche Weiterbildung ist – in jeder Anwendung dient die E-Mail-Adresse zur Verifizierung. Schauen Sie doch mal in Ihr Postfach, wie viele Bestätigungsnachrichten oder auch Passwortzusendungen (oder Passwortänderungsnachrichten) dort liegen. Wie kommunizieren Sie mit der Personalabteilung über persönliche Daten aus z.B. Urlaubanträgen, Arbeitszeiterfassung, Reiseabrechnungen? Benachrichtigungen zu verschlüsselten Personaldokumenten? Die E-Mail-Adresse ist auch üblicherweise so lange persönlicher Identitätsfaktor wie jemand im Unternehmen arbeitet. Im Gegensatz dazu ist das persönliche Profil, das im Kollaborationstool angelegt wird, abhängig vom Anbieter der Software – ihr Unternehmen hat keine Einflussmöglichkeit darauf.

Dreamteam: E-Mail und Kalender

Haben Sie schon mal versucht, innerhalb eines Kollaborationstools einen gemeinsamen Termin abzustimmen? Die Betonung liegt hier auf „innerhalb“. Denn natürlich ist es möglich, gemeinsam einen Kalender zu pflegen. Der ist jedoch in der Regel nicht im Tool selbst integriert, d.h. man muss ein weiteres Tool mit eigenen Zugangsdaten in einer anderen Cloud mit wiederum eigenen Apps dafür bemühen. In einer Groupware ist der Kalender mit dem E-Mail-Programm verknüpft, d.h. der – im Idealfall geteilte Kalender – kann innerhalb des Programms bearbeitet werden, mein:e Kolleg:in sieht, wann ich Zeit habe und für Termine verfügbar bin. Das macht das Arbeiten leichter, weil eben keine separate Anwendung aktiviert werden muss.

Datensouveränität

Wir haben an anderer Stelle schon mehrmals die Schwierigkeit von proprietärer Software in Bezug auf digitale Souveränität angesprochen. Bei Kollaborationstools ist die Lage ähnlich – die Abhängigkeit vom Anbieter ist in Bezug auf die Kontrolle der eigenen Daten problematisch. Wo werden z.B. die archivierten Karten aus dem Kanban-Board gespeichert? Wo liegt die Kommunikation zum Channel X, nachdem dieser archiviert ist?

Fazit

Sollte Ihnen noch einmal jemand sagen, dass die Zeit der E-Mail abgelaufen ist, begegnen Sie ihm/ihr mit einem Lächeln und lassen Sie ihn/sie reden. Sie wissen es besser. Die E-Mail ist lebendiger denn je.